Seien wir ehrlich

Weiblichkeit ist etwas Schönes – grundsätzlich. Denn seien wir ehrlich: Nicht selten ist Weiblichkeit ein ziemlich kompliziertes Konzept und manchmal leider auch ein giftiges. Womit wir ohne Umwege beim Thema sind: „Toxische Weiblichkeit“.

Sophia Fritz hat ein wunderbares Buch dazu geschrieben. Was an etwas Giftigem wunderbar sein soll? Es geht darum, hinzusehen und zu verstehen, um dem Gift seine Wirkung zu nehmen, und seine Macht. Denn das Perfide an toxischer Weiblichkeit ist, dass sie sich am Ende gegen uns selbst richtet. Sie ist das Ergebnis einer Gesellschaft, die wir eigentlich zu überwinden versuchen. Eine Gesellschaft, in der Macht und Ohnmacht als Themen dominieren und entsprechend eingeübte Rollenspiele authentische Begegnungen unnötig schwer oder gar unmöglich machen. Sophia Fritz arbeitet in ihrem Buch verschiedene Muster toxischer Weiblichkeit heraus. Zwei davon finde ich besonders bezeichnend: das „gute Mädchen“ und die „Powerfrau“. Ich wünschte, es wäre nicht so. Aber es ist, als würden das Fräulein und die Athene in mir noch einmal zusätzliche Einträge in ihren persönlichen Steckbriefen erfahren.

Da ist also das „gute Mädchen“, das überangepasst ist, nach Gefälligkeit und Harmonie strebt und fremde Gefühle weitgehend ungefiltert übernimmt. Ein wirklich braves Mädchen, das dazu neigt, Begegnungen auf Augenhöhe auszuweichen, das keine Umstände bereiten will und eigene Bedürfnisse weitgehend negiert. Sophia Fritz schreibt: „Als gutes Mädchen dürfen wir andere Menschen nicht verletzen, indem wir uns auf irgendeine Weise von ihnen unterscheiden.“

Das „gute Mädchen“ ist wie eine Schutzhülle, die Angriffe von außen verhindern und abwehren soll. Paradoxerweise macht sie genau das für ihre Mitmenschen schnell unberechenbar. Nimmt das „gute Mädchen“ in uns Überhand, machen wir Komplimente, obwohl wir das Gegenteil meinen. Wir verfluchen unhinterfragte Konventionen und leben sie dennoch. Wir lächeln, auch wenn wir tief im Inneren wütend sind –  oder traurig oder neidisch. Und anstatt wir uns mit unseren negativen Gefühlen auseinandersetzen, versuchen wir diese mit subtilen Abwertungen anderer zu kompensieren. Wir wollen vielleicht nicht unbedingt besser sein, aber auch nicht unterlegen.

Tritt das „gute Mädchen“ auf die „Powerfrau“, wird es nicht unbedingt leichter. Denn die „Powerfrau“ ist offenbar per Definition die Überlegene. Zugang zu ihren eigenen Gefühlen hat aber auch sie nur bedingt. Sie ist praktischerweise zu beschäftigt damit, ihre Unabhängigkeit unter Beweis zu stellen und sich unaufhörlich selbst zu optimieren. Ein Urteil fällt sie lieber über andere als über sich selbst. Sophia Fritz formuliert es so: „Die überlegene Position der Powerfrau fordert auch von ihr einen beschämenden, regulierenden Blick auf ihr Umfeld, von dem sie sich idealerweise vertikal absetzt. Überheblich blickt sie auf weniger ‚beherrschte‘ Frauen, auf die, die sich gehenlassen, klagen, leiden, Kompromisse eingehen in ihrer Lebensplanung.“

Als Fräulein Athene denke ich: Wie stimmig doch alles zueinanderpasst beziehungsweise zueinandergepasst hat, definitiv aber nicht mehr zueinanderpassen soll. Ob Bodypositivity oder weibliches Empowerment – wir sind schon mittendrin, die Regeln neu zu schreiben. Seien wir also nicht nur ehrlich zueinander, sondern auch mutig genug, direkt nach dem Gegenmittel zu greifen, wenn uns ein vergifteter Apfel gereicht wird. Dann kann Weiblichkeit sein, was sie wirklich ist: inspirierend, aufregend und schön.

Fräulein Athene

Zum Nach- und Weiterlesen:
Fritz, S. (2024): Toxische Weiblichkeit (7. Aufl.) Hanser Berlin.
Wardetzki, B. (2022): Weiblicher Narzissmus. Der Hunger nach Anerkennung (3. Aufl.). Kösel.