Ist es Schicksal?

Glaubst du an Schicksal und Vorbestimmung, an Fügung oder einen höheren Sinn? Oder siehst du die Autorenschaft für dein Leben ausschließlich bei dir selbst?

Mich hat kürzlich ein Buch über Simone de Beauvoir, eine französische Schriftstellerin und Philosophin, in den Bann gezogen. Ihrer Ansicht nach ist der Mensch das, wozu er sich macht. Das hat schon auch etwas, oder? Zumindest so lange man anerkennt, dass die äußeren Umstände nicht gänzlich ohne Einfluss sind. Simone de Beauvoir glaubte offenbar bedingungslos an die Macht ihrer inneren Haltung und Stärke: „Mein Leben, meine Existenz wird eine schöne Geschichte sein, die in dem Maße zur Wahrheit gehört, wie ich sie mir selbst erzähle.“ So viel Deutungshoheit zu beanspruchen, zeugt, finde ich, von Selbstbewusstsein und Mut, und auch von innerer Freiheit. Wie bewundernswert. „Ich möchte vom Leben alles“ soll Simone de Beauvoir außerdem gesagt haben. Also es ihr gleich tun und es uns nehmen?

„Wach auf, das geht doch völlig an der Realität vorbei“, ruft das Fräulein in mir. „Als ob jeder einfach Ansprüche stellen könnte. Das ist doch absurd.“ „Absurd ist nur deine Einstellung“, entgegnet ihr schon Athene. „Natürlich steht uns alles Glück dieser Welt zu. Wenn wir nur alles dafür geben.“ Die eine drängt, die andere zaudert also. Das Ergebnis: Ich sitze immer wieder hibbelig auf dem Sofa, das Herz pochend –  vor Aufregung, dann wieder vor Angst, wieder vor Aufregung und wieder vor Angst. Was meistens hilft, ist schreiben. Meine Finger fliegen mittlerweile über die Tastatur.

In der letzten Brigitte von 2024 schreibt Ildikó von Kürthy: „lieber stolz scheitern statt beschämt vermeiden“. Klingt einleuchtend und ist gleichzeitig so anspruchsvoll. Denn was ist, wenn Scheitern oder, noch etwas drastischer ausgedrückt, Versagen keine Option ist?

Meine großartige Tochter hat zum Thema Schicksal ihre ganz eigenen Vorstellungen, die Sie mir, ernst gemeint oder nicht, zum letzten Jahreswechsel offenlegte:

Sie: Natürlich ist alles vorbestimmt.
Ich: Ah ja.
Sie: Wie kannst du daran zweifeln?
Ich: Warum bist du dir so sicher?
Sie: Es gibt ein Buch, in dem dein Leben beschrieben ist.
Ich: Okay. Und wer schreibt dieses Buch?
Sie: Na er.
Ich: Er? Meinst du Gott?
Sie: Nein, Markus. Also mein Buch schreibt Markus.
Ich: Jetzt veralberst du mich aber.
Sie: Nimm mich mal bitte ernst, Mama! Ich habe meine eigene Meinung. Akzeptiere das.
Ich: Absolut. Nur eine Frage: Willst du die Seiten deines Buches nicht lieber selbst befüllten?
Sie: Muss ich nicht. Macht Markus.
Ich: Und was machst du?
Sie: Chillen.

Auf Augenhöhe zu kommunizieren, ist manchmal gar nicht so einfach. Auf der anderen Seite: Wenn ich Fräulein und Athene habe. Warum meiner Tochter nicht Markus lassen? Und da sie grundsätzlich sehr meinungsstark und freiheitsliebend ist, wird sie ihrem Markus schon flüstern, wie er ihr Buch zu schreiben hat.

Ich bleibe dann erst einmal bei Fräulein und Athene und meinem Versuch, zu vertrauen – in meine Intuition und Kraft, aber auch darauf, dass sich immer wieder Türen öffnen und Wege erschließen. Und wenn ich mag, dann nenne ich die Wendungen und Fügungen in meinem Leben auch Schicksal. Einfach, weil ich das wohlige Gefühl mag, dass am Ende alles gut wird.

Fräulein Athene


Zum Nach- und Weiterlesen:
Korbik, J. & Bernhard, J. (2023): Simone de Beauvoir. Ich möchte vom Leben alles. Rowohlt.
Von Kürthy, I. von (2024): Endlich bin ich so, wie ich nie werden wollte! Brigitte, S. 100-103.