Klappe, die zweite

Ich war Kind meiner Eltern und Reflex meiner Zeit. Mauern aus Beton, zementiert in Seele und Geist. Meine Wahrheit sollte eine andere sein.

Ich las und lernte, sang und tanzte durch die Nacht. „Irgendwie, irgendwo, irgendwann“. Und dann fing die Zukunft an. Frei und unabhängig wollte ich sein. Superlative mein Lebensmotto und Lebenssinn. Bloß kein Durchschnitt, keine Pausen und schon gar keine Stopps. Treiben ließ sich nur, wer weder Ziel hatte noch Plan. Ich hatte beides und lächelte milde über jene, die sich verloren.

Ich wusste es besser. War mir sicher, hinter das Geheimnis gekommen zu sein. Das Schönste aus allen Welten: Kind und Karriere, Geliebte und Gefährtin. Ich hatte alles im Blick und alles im Griff. Feminismus wurde zu meinem Leitstern, Selbstermächtigung zu meinem Gebot und Key Perfomance Indicator.

Ich schwamm um mein Leben und war mir doch sicher, niemals unterzugehen. Ganz gleich, wie hoch die Wellen auch peitschten oder die Strömung an mir zog. Die rote Flagge am Stand spornte mich nur an. „I’m survivor“ in meinem Ohr, in meinem Rhythmus und Takt.

An meinem Finger funkelte der Ring wie das Bild der Zukunft, die ich mir versprach. Aber meine Zukunft kam mit einer Vergangenheit, die nicht Teil meiner Planung war. Ich hatte es übersehen. Wollte weder fühlen noch spüren, was Müdigkeit bedeutet und Gewohnheit ist: Serien in Dauerschleife, die ewige Musik meiner Jugend, Muster und Glaubenssätze, die ihren Sinn verloren. Nicht nur für mich.

Der Augenblick, in dem mir bewusst wurde, dass meine Kontrolle trügerisch war. Ich das Korsett spürte, das ich mir selbst genäht hatte und das mir nun die Luft zum Atmen nahm. Die Erkenntnis, dass Leben sich auseinander entwickeln können. Neu finden müssen, wenn sie es wollen. „Islands in the Stream“ – was, wenn wir nicht wie Victoria und David Beckham sind? Kann eine Zukunft immer wieder neu anfangen?

„Liebe wird aus Mut gemacht!“ Ich kann noch immer tanzen. Kann noch immer lernen – auch, wenn es ungleich schwerer erscheint. Mut heißt auch, loszulassen. Heißt, darauf zu vertrauen, dass einen Weg findet, was wahr ist und echt. Ich bringe den Mut auf. Für eine Klappe, die zweite. Für immer.

Fräulein Athene